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                              ...Wanderleben...

                                         ... auf dem längsten Weg der Welt ...

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Stand:
25.11.2015

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (25.11.2015)

Polen105

Stadt: Lodsch …………….. ( 700.000 Einwohner )

Da bin ich: Mitten drinn im Land, 400 km bin ich schon durch Polen gegangen um jetzt hier in Lodsch an der Piotrkowska im Tourist Office zu stehen. Darüber fand ich das Event-Zentrum der Stadt, wo ich mein Weltwander-Projekt vorstellte, Grund genug offenbar für ca sechs Reporter aus allen Medien…. Lieben Dank Lodsch für all die tolle Zeit in einer sehr spannenden Stadt!!! - Schweren Herzenz “muss” ich heute aber weiter; die Radioreporterin lud mich glad für heute ein, noch bei ihr unterzukommen. Doch es wird wieder Zeit zu gehen, die Sonne scheint vom kalten, klaren Himmel….. ja, tatsächlich sehne ich mich in den Wald zurück nach drei Tagen in Lodsch …. der liegt 15 km vor der Stadt…. Richtung Osten, Richtung Warschau…. da gehe ich heute hin.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (25.11.2015)

Polen104

Stadt: Lodsch

Wieder im Rampenlicht, diesmal in Lodsch morgens um zehn; Fernsehen, Zeitungen und Radio sind am Start. ….Uff, so viele. Auf Englisch erzähle ich aus dem Leben wie es zum Wanderleben wurde, wie schlafe ich draußen? Was gefällt mir an Polen besonders gut?Ich verspreche einen Gruß aus Tianjin und Chengdu zu übersenden, die Partnerstädte von Lodsch in China. Ist noch ein langer weg, erinnere ich. Dauert also noch etwas….

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (25.11.2015)

Polen103

Stadt: Lodsch …………………. ( 700.000 Einwohner)

Stimmungsvoll der nächste Tag: Wieder Sonnenschein, null Grad und gleich steht ein Journalisten-meeting an hier auf der Prachtmeile Piotrkowska.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (24.11.2015)

Polen102

Stadt: Lodsch …………….. ( 700.000 Einwohner )

Tolle Abendstimmung -bereits um halb vier, auf der Endlos-Promenade Piotrkowska. Stundenlang poste ich jetzt hier in “Annas Bar” zu frisch gezapften “Warka” und verwalte meine wachsenden Ansprüche der Online-Welt…. ein Thema für sich…. morgen wollte ich schon zum Sonnenaufgang starten; vier Tage Marsch auf Warschau, 130 km durch immer schlimmere Kälte…. doch Lodsch hält mich tatsächlich noch länger: Ich bekomme eine SMS vom Kulturbeauftragten der Großstadt, “ five journalists from tv, radio and newspapers wants meet you tomorrow at 10 a.m.” steht auf dem fleckigen Display meines Uralt-Smartphones….. also starte ich um einiges später…. oh je, der Wandersmann erregt nun auch Aufsehen in Lodsch ….

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (24.11.2015)

Polen101

Stadt: Lodsch …………..( 700.000 Einwohner )

Jaaa, Wa-wa-Wanderleben im Cynamon Hostel wo mich erstmal der junge Besitzer Lukasz glatt zum umsonst-übernachten einlädt. Wieder waren es die Medien die diesmal Lukasz sah, auch wenn ich nicht ganz unbeteiligt war; ich erzählte natürlich seiner charmanten Dame an der Rezeption meine Geschichte. Aber auch sonst, für 30 Zloty ( ca. 7 € ) kriege ich hier ein Bett im Mehrbetzimmer, eine Dusche, sowie ein üppiges, für Hostels schon sehr deftiges Frühstück. Plangemäß hätte ich das wohl berappen können. Überhaupt plante ich eine kleine Auszeit; so viel wurde mir geschenkt, so viel konnte ich die letzten zwei Wochen sparen; ganze 20 Euro hatte ich da ausgegeben über die ganze Zeit. Ständig war ich eingeladen, ob auf einen Cafe oder im Sternepalast mit Luxusmenü….. da ließ ich mal die Couchsurfing-Einladung in eine große Studenten-WG mit Partygarantie sausen und ziehe mich ins Mehrbettzimmer zurück. Naja, abgesehen von besoffenen Arbeitern, die ebenfalls die Nacht vom Tag (und vieles mehr) nicht unterscheiden können, waren die letzten beiden Nächte schon eher lausig…. schnarch-Attacken, Fürze und Zigarettenpaffen mitten im Raum & lautes Gelaber lassen die liebe Anna aus Zgierz vermissen die mich ja für die ganze Zeit einlud für Lodsch. Doch der Preis fürs Stadtzentrum ist nicht immer in barer Münze zu verrichten…. jedenfalls bin ich mal wieder begeistert: Lukasz freut sich mich als echten Reisenden zu beherbergen. Er freut sich auch auf eine spannende Zukunft; Lodsch hat fast keine Touristen, hier ist alles noch ganz echt, ganz unverbraucht so sehr polnisch. Die Stadt hat Potential und ich hoffe so sehr, dass sie dabei nicht ans Ziel vorbeischießt…. (Bild: Couchsurfen im Hostel. Sowas hab ich bisher auch noch nie erlebt.)

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (23.11.2015)

Polen100

Stadt: Lodsch

Lodsch im Einsturz: Fast neben meinem Hostel krachte es dann gewaltig; Straßenzüge versperren den Weg, ich suche umher und bin ratlos. Das Hostel, 100 Meter dahinter war unversehrt. Manchmal kracht es eben bei einer Bauqualität auch ganz ohne Erdbeben; ob in Lissabon oder Schenzhen (China) wer Häuser aus Lego baut, muss sich über solche Peinlichkeiten nicht wundern. Hier wurde keiner verletzt. Glück gehabt…

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (23.11.2015)

Polen099

Stadt: Lodsch ………………..( 700.000 Einwohner)

Und wie geht es weiter? Lodsch ist jung aber in die Jahre gekommen. Kein Wiederspruch. Die Stadt muss sich verändern, zumindest ihren Bewohnern die Grundlagen bieten hier weiterhin gut und immernoch günstig leben zu können. Ich hab immer dieses lausige Gefühl bei “positiver Stadtentwicklung” die Vorfreude von Veränderung im Sinne der Gewinnmaximierung zu spühren, wenn Medien oder Leute davon reden, ja schwärmen. Aber es ist überall auf dem Planeten das gleiche: Eine Stadt wächst, wird cool, ist (erstmal) billig, weniger bekannt oder begehrt, aaaaaber dann: Alle wollen dorthin, dazugehören und was? Die Mieten steigen, steigen und nochmals steigen….. so wie jetzt in Warschau, neuerdings in Poznan, Breslau und Krakau…. ein Job reicht oft nicht um die Mieten zu bezahlen, die typische Verteilung von unten nach oben: Ich arbeite als Pizzabote 12 Stunden um Groß-Immobilienbesitzer Mister X den “Mehrwert” seiner Lage im begehrten Viertel zu zahlen, während Erhalt und Wartung der Immobilie nur einen Bruchteil der Einnahmen ausmachen. In Lodsch ist dieses Verhältniss noch sehr ausgeglichen, allerdings auch nur weil der Arbeitsmarkt hier eine Katastrophe ist, ja, Arbeit genug aber die Bezahlung liegt Polenweit ganz weit hinten. Die Stadt schafft es nicht zu den anderen Großstädten ihrer Liga aufzuschließen und muss eben dort ansetzen den Wohlstand zu wahren, - und nicht wie überall zu den “teuersten”, zu den mondänsten" Großstädten zu gehören. Lodsch ist den Wirtschafts-Hot Spots Poznan, Breslau oder Warschau sogar vorraus, ein Ort von urbaner Freiheit zu sein, wo man sich das Attelier oder die billige Bierbar als Kleinunternehmer auch leisten kann. Wo Studenten recht stressfrei ihren Raum finden, ohne gleich zwei Jobs nebenbei bis Mitternacht zu schaffen, nur um all den Vermietern ihre unappetitlichen Überschüsse heran zu karren…. auf Deibel komm raus. Auch wenn die Jobs in Lodsch miserabel bezahlt sind, auch wenn dort wie auch in Warschau viele kleine Hausbesitzer lediglich von den Mieten leben, müssen alle für alle die Verhältnissmäßigkeit wahren. In Lodsch ist das so. Leider aber eben kaum aus humanistischen Gründen….. ich denke lieber nicht weiter…. (Bild: Lodsch im Umbau, nicht überall aber hier und da. Die Stadt ist flächenmäßig etwas größer sogar als Rom, hat aber im Ballungsraum nur weniger als ein Drittel der Einwohner. Also noch so viel Platz)

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (22.11.2015)

Polen098

Stadt: Lodsch

So sah die “Manufaktura” mal aus als noch nicht Mc Donalds, C&A, und New Yorker dort waren, und der Platzhirsch Izrael Poznanzki hieß, einer der ganz großen Bosse der Gründerzeit sowie Erschaffer der größten Fabrik von Lodsch. Bis zum ersten Weltkrieg war noch alles recht in Ordnung, danach Wiederaufbau, zum zweiten Weltkrieg viel Glück gehabt, - wenn auch die nahezu komplett jüdischen Industriellen-Familien alle enteignet wurden. Lodsch wurde fast sogar Haupstadt Polens, da Warschau dem Erdboden gleich, eigentlich keine Stadt mehr war. Ein weiterer Aufschwung hebte Lodsch 1946 bis 1970 weiter in die Höhe, wenn auch der Braunkohlebergbau und weitere Industrien den Textilsektor kleiner werden ließen.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (22.11.2015)

Polen097

Stadt: Lodsch ……….. (700.000 Einwohner )

Nee, keine Wanderkarte, sondern die Anbaugebiete der Baumwolle für Lodsch, aber auch für Deutschland. England, der damalige “Cotton-King” hatte mit seiner Kolonialstellung in Indien den wohl größten Baumwollproduzenten überhaupt inne, deshalb zündete dort auch alles viel früher.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (22.11.2015)

Polen096

Stadt: Lodsch ……………… ( 700.000 Einwohner )

Na, und an solchen Stahlgeräten ratterte damals Omas Abendkleid in Fertigung, zumindest als schlichtes Tuchwerk, das aus dem Baumwollgarn gesponnen wurde. Ganze Hallen füllten solche Maschienen (Bild im Hintergrund) und waren eine Grundlage der ersten industriellen Revolution in England schon vor 230 Jahren, etwas füher als hier (damals Kongresspolen). Gut 100 Jahre lang bestand diese Industrie in Lodsch, machte die Stadt sehr groß und reich.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (22.11.2015)

Polen095

Stadt: Lodsch …………. ( 700.000 Einwohner)

Letztlich zu Garn versponnen liegt das Rohmaterial in verarbeiteter Form vor. Jetzt kann daraus z.B. Tuch gesponnen werden. Fühlt sich echt schön flauschig an.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (22.11.2015)

Polen094

Stadt: Lodsch……. (700.000 Einwohner )

Grob gewickelt, unter Hitze weiter geschmeidig gemacht sieht die Baumwolle dann so aus.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (22.11.2015)

Polen093

Stadt: Lodsch (700.000 Einwohner )

Nächster Schritt: Die Baumwolle ist aus den Zweigen gezogen und aufbereitet, ein erster Arbeitschritt der damals schon im Herkunftsland erledigt wurde. Ungefähr so kam der Rohstoff nach Europa.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (22.11.2015)

Polen092

Stadt: Lodsch ….( 700.000 Einwohner)

Ich krieg mich nicht mehr ein und will’s genauer wissen: Im kleinenTextil Museum vom Manufaktura (Eintritt: 1,80€) gucke ich mir mal diese Baumwolle an, worum sich damals hier einfach alles (im wahrsten Wortsinn) drehte; flauschig weich, stecken die Puschel an diesen Zweigen…. so sind die natürlich hier nicht angekommen. In Blöcken gepresst wurde das “weiße Gold” damals Waggonweise von schweren Dampflokomotiven herbeigeschafft aus dem fernen Orient. In Lodsch, Berlin oder Manschester Massenhaft verarbeitet, die ersten Industrien unserer Breiten wurden erschaffen, schließlich braucht ja jeder Klamotten am Leib. Baumwolle kann in Europa kaum wachsen, ist eine subtropische/tropische Pflanze die ihre Sämlinge zum Schutz mit einem Büschel Naturwolle (Samenhaare) schützt. Das erkannten schon vor 8000 Jahre zuerst die Menschen in Indien - zuvor wurden Tierfelle verwendet, und knüpften, webten dann grobe Stoffe aus dem wiederstandsfähigen, pflanzlichen Zeug was teils überall wild herumwuchs. (Wilde Baumwolle) “Baumwolle” passt übrigens wörtlich nicht wirklich; bis zu 5 - 6 Meter wird ein solcher Strauch und ist somit alles andere als ein Baum. Würde sich aber als “Strauchwolle” irgendwie doch zu billig anhören, oder?

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (22.11.2015)

Polen091

Stadt: Lodsch ….(700.000 Einwohner)

Eines der gewaltigsten historischen Industriebauten Europas. Und das sage ich als jemand vom Ruhrgebiet. Ganz hinten “The Mill” das lange Hauptgebäude flankiert zur Hauptstraße das Areal. Erinnerungen an Manshester werden wach (siehe Wanderleben-Archiv/England) wo ich noch in einer “Mill” zum Couchsurfen war…. (Bild: links, das Feuerwehrhaus, vorne das Stromhaus vom Jahr 1910, ganz hinten das riesige Spinnereigebäude, heute exakt hundert Jahre älter als ich: 137 Jahre.)

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (22.11.2015)

Polen090

Stadt: Lodsch ….(700.000 Einwohner)

Heute herrschen hier weniger die Bosse großer Fabriken, sondern Mc Donalds und Media Markt geben hier den Ton an: Manufaktura heißt das alte Fabrikgelände heute, umgewandelt im Zuge eines ohnehin großen Transformationsprozesses den Lodsch seit ca. 10 Jahre erlebt, wurde hier das größte Einkaufszentrum Polens aus dem Boden gestampft. Ich bin ergriffen von solch einem gelungenen Übergang von einer Zeit in die nächste; die historische Kulisse behält ihre Würde, und auch gewaltige Glasfronten wirken eher transparent als abweisend. Im “Bierhaus” trinke ich für 2,20€ ein Großes vom Fass, - selbstgebraut vor Ort. …Ein Hauch Potsdamer Platz-Feeling wie im neuen Berlin…(Bild: Neugestaltung maroder Industrieruinen erfolgreich: Das Wahrzeichen von Lodsch, der Einkaufspark Manufaktura)

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (22.11.2015)

Polen089

Stadt: Lodsch ….. (700.000 Einwohner)

Manufaktura - das Wahrzeichen der Stadt, wenn man so will, einer der Keimzellen des großen Lodsch. Im Jahr 1872 erbaut, über Jahre als Komplex erweitert ging hier richtig die Arbeiter-Elend Post ab, zu Tausende in den Hallen wurde hier oft in 15 Stunden Schichten sieben Tage die Woche humaner Raubbau betrieben. Heute haben wir ja sowas in Bangladesch, wenn auch dort die Fassaden der Fabriken bei weitem nicht so schön verbergen, was im innern passiert.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (22.11.2015)

Polen088

Stadt: Lodsch …(700.000 Einwohner)

Es ist wie in Berlin 1996, als ich damals mit 18 zum ersten mal da war: Marode, alt, überall Patina doch dennoch prunkvoll in bröckelnder Pracht die mächtigen Fassaden im Jugendstiel, oder klassizistisch, ja Feudal wie so manch Stadtanwesen damaliger Industrieller wirkte. In Ost-Berlin abseits vom Alexanderplatz damals, wie auch in Lodsch noch heute; nahezu Baufällig die alte Zier, supermodern mal der eine oder andere Ytong-Wohnblock nebenan, bedrohlich das alte, sozialistische Unschöne, sowie die weiten Blicke dazwischen, ob über zertrümmerten Waschbetonpflaster der 50er, oder festgetretendem Erdreich großer, urbaner Freiflächen, zugestellt mit Autos, erinnert mich der morbide Charme in Lodsch an mein altes Berlin, wo ich einst noch im “Hostel Adler” direkt an der Friedrichstraße für 10 Mark ein Bett fand, wo die Straßenbahnen noch so aussahen wie hier, und damals wie heut so dröhnend über löcherige Straßen grollten. Dieses Berlin gibt es heute nicht mehr. Aber deses Lodsch allerdings schon….

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (22.11.2015)

Polen087

Stadt: Lodsch/Lodź ….(873.000 Einwohner - mit Vororten)

Angekommen im Zentrum der drittgrößten Stadt im Lande; auf der fast fünf Kilometer langen “Piotrkowska” , die berühmte Boulevardstraße teils als einzige Autofreie Zone der Großstadt, die schnurgerade durch die innere Stadt zieht, wandere ich dem nächsten Ziel entgegen, dem Cynamon-Hostel an der Nebenstraße, wo es dann für nur sieben Euro die Nacht ein Bett (im Mehrbettzimmer) eine Dusche + reichhaltiges Frühstück gibt. Couchsurfing habe ich diesmal nicht angestrengt, - so günstig, so relaxt soll es ja hier mal werden. Vor 200 Jahre war hier ein gepflasterter Weg entstanden, der die damals neuen Fabriken mit der älteren Stadt Zgierz verbinden soll, Fabriken die hier ab 1820 im Zuge der ersten industriellen Revolution analog zum englischen Manschester gewaltige Textilmanufakturen bildeten, waren der große Durchbruch der Stadt. Ganze 100 Jahre war Lodsch somit einer der größten Textilproduktions-Stätten der Welt, Tuchmacherfabriken, Kleidung und Teppiche gaben zig-tausende Arbeiter ein Auskommen;Wachstum war angesagt, überall neue Häuser, oft aus billigem Holz, aber auch protzig prollig den Reichtum neuer Industrieller zeigend, entstanden. Lodsch wurde zur Großstadt, einer reichen Großstadt die damals den neuen Trend der Massenindustrie voll mitnahm. Entlang der eigentlichen Verbindungsstraße wuchsen so die Fabriken wie auch Villen, Geschäfte, Verwaltungsschlösser, - ja, damals baute man selbst Verwaltungsgebäude so prunkvoll wie Adelshäuser, und eine neue Stadt entstand. Heute nach viel, viel Geschichte, wenn auch nicht die älteste, war einiges passiert in Lodsch; die mächtigen, jüdischen Unternehmerfamilien wurden enteignet, vertrieben (oder schlimmer noch, in den “Ghettos” im Jahr 1940 deportiert) die Manufakturen kamen über die Jahrzehnte aus der neu-globalen Mode, durften im Sozialismus zumindest künstlich eine Lebensverlängerung genießen, während natürlich ab 1989 entgültig Feierabend im wahrsten Wortsinn war. Zur Wende dann, erlebte Lodsch den wohl schlimmsten Niedergang polnischer Städte (neben der Kattowwitz - Kohlenregion in Südschlesien) überhaupt; sackte von 850.000 Einwohner auf nun heute knapp 700.000 ab. Die Leute zogen aus, fanden und finden besser Arbeit im 130 Kilometer entfernten Warschau, oder gingen ganz ins Ausland. Anna sagte mir noch, in Warschau als IT Expertin das doppelte (!) Zu verdienen…. so schwer findet die ansich große Stadt Lodsch den Anschluss. Doch bei all dem, was gibt es gutes zu erzählen? - Viel, z.B. dass es sich hier gut und günstiger leben lässt als in anderen Großstädten. Lodsch veränderte sich die letzten Jahre stark, viel wird gebaut am morbiden Stadtbild, die Preise sind billig, alles ist da: Universität, Mega-Schoppingmall, Krankenhäuser aller Art, und vor allem jede Menge Bars, Kneipen und Esslokale, vor allem hier an der Piotrkowska, dem “Walk of Fames” Polens mit seinen Sternen im Bodenpflaster wie in Hollywood. Lodsch ist auch Filmhauptstadt im Land, hat eine freiere Kultur weil hier nicht alles so unbezahlbar ist wie woanders. Ein großes Bier für 1,20€ vom Fass ist mir jetzt erstmal sicher….

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (21.11.2015)

Polen086

Stadt: Zgierz (58.000 Einwohner) …………

Zwischenstopp in Zgierz, ca 10 km nördlich von Lodsch, aber eigentlich Teil dieser Stadt, da nahtlos miteinander verwachsen. Anna (42) & Tochter (18) hatten mich über Couchsurfing eingeladen, dort kann man auch öffentlich Anheigen schalten und bekommt so manchmal das Glück das sich Gastgeber melden. So auch IT-Spezialistin Anna, die ganz ernsthaft ünerlegt mal ein Sabbat Jahr einzurichten. Am besten wandern gehen, am besten den Jakobsweg, wo sie sich mit mir natürlich einen Experten auf die Couch geholt hat. Den ganzen Abend gestern war das unser Thema. Jetzt bin ich mal gespannt wie sie das macht, wann sie startet und wie’s klappt. Dank Facebook bleiben wir ja in Kontakt. -Viel Glück Anna auf deine neuen Wege, ob zu Fuß oder sonst wie; die Kinder sind nun groß und ab geht die Post ins neue Leben ……….

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (21.11.2015)

Polen085

Die dürfen natürlich auch nicht fehlen: Soldaten-meeting irgendwo im Nirgendwo. Die haben extra angehalten und mich zum Fotoshooting eingeladen; alle wollen mit dem Wandersmann der offenbar in so einigen Medien herumgeistert, aufs Bild.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (21.11.2015)

Polen084

Stadt: Poddebice.

Theo wir fahren nach Lodsch …. oder wandern dorthin. 38 Kilometer sind’s und momentan mit wirklich viel Viva Polonia; Sauwetter, grau - grau - grau, wenn da nicht die liebe Frau Barbara wäre, ein bischen Sonne im Wetter-Trübsal. Wasser gibts aber nicht nur vom Himmel; habe noch anderthalb Liter reines Thermalwasser abgezapft, sozusagen ein Wahrzeichen der Kleinstadt Poddebice; aus 2200 Metern Tiefe, 27.000 Jahre alt (was ist dagegen schon ein 30 jähriger Wein?) in einer Kirche von der Quelle entnommen. Damit stärke ich mich nun auf dem Weg nach Looooooooooodsch ………… (Bild: Die gute Seele von Poddebice; Barbara verabschiedet mich in Richtung Lodsch)

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (20.11.2015)

Polen083

Dorf: Dalikow

Mr. Superstar bei der Autogrammstunde. Hä, was? Autogramme? Was geht hier vor? ….. Was schreibe ich überhaupt? “J.Kwass”….oder “Best Regards from Wanderleben”, oder ….? Also alles echt komisch, aber einfach auch Hammer-Genial…. sollte das mal so weitergehen, dann wirds was mit dem Job in der weiten Welt ….Tatsächlich kann ich dem Andrang nicht Herr werden, ca. 15 - 20 Autogramme + Grüße kritzel ich improvisierend und irgendwie nicht besonders phantasievoll auf die Notizblöcke der begeisterten Jugend …..

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (20.11.2015)

Polen082

Dorf: Dalikow

Eines von vielen Gruppenfotos und wieder kanns ich nicht fassen was hier passiert. Die Schüler + Lehrer sind total begeistert. Heute bleibe ich wieder im Ort, und Managerin Barbara will noch den Bürgermeister sowie einen Reporter einschalten…..

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (20.11.2015) Dorf: Dalikow

Polen081

Weiter gehts zum nächsten Termin, also nix mit weitermachen auf der Wanderroute: In Dalikow, einem Dorf in der Nähe erwartet mich gleich eine ganze Schule zum Wanderleben - Vortrag. Ich fass es mal wieder nicht, als ein tosender Applaus mir die Mütze vom Haupt fliegen lässt, als ich in die Sporthalle mit dem Wanderwagen einschreite. Stolz positioniert sich Frau Barbara und ein Tross Lehrern vor ca. 250 Schüler von 10 bis 15 Jahren und die Mikrofone tun ihr Übriges; Lektion Wanderleben ist nun angesagt und ganz automatisch kommt es mir recht leicht aus dem Munde, erzähle, zeige und mache Gesten. Alle haben reges Interesse. Wa-wa-wanderleben sag ich nur dazu ……..

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (20.11.2015)

Polen078
Polen079
Polen080

Stadt: Poddebice ….(7.200 Einwohner)

Großer Andrang am Wanderwagen. Konkurrenz bahnt sich an, doch bleibt mir wohl noch etwas Zeit bis all die Nachwuchswanderer hinterher-preschen…..*ängstlich guck*

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (20.11.2015) Stadt: Poddebice …..(7.200 Einwohner)

Polen077

Gastgeberin Barbara (links von mir) legt sich voll ins Zeug: Erster Tagestermin: Ein Kindergarten im Ort. Zugegeben bin ich etwas überfordert; “na, erzähl doch mal was…” heißt es von ihr. Hmmm, irgendwie sind die doch nlch viel zu klein um solch eine Nummer zu begreifen. Aber egal, einfach was plappern, also: Tief im Walde schlafe ich (Barbara übersetzt) - wild und ungestüm das Getier um mich herum…. doch ich spreche mit Reh, Hirsch und Wolf…. mache sie zu meinen Freunden. Die Dunkelheit schützt mich vor den Räubern…. und bald zum Nicolaus, ziehe ich wieder von dannen zurück zur Familie. Mit dem gehe ich dann zusammen dorthin.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (19.11.2015) Stadt: Poddebice …. (7.200 Einwohner)

Polen076

Interessierte Gäste lauschen gebannt meine Geschichten vom Jakobsweg im altpolnisch gestylten Wohnzimmer von Barbara, die ins polnische übersetzt während ich gelöchert werde.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (19.11.2015)

Polen075

Stadt: Poddebice ….(7.200 Einwohner)

Stimmungsvoll wallt sich schweres Gewölk über das Städtchen Poddebice, dem Zielort des heutigen Tages. Nach langer Wanderschaft freue ich mich über Barbara die mich über Couchsurfing aufnimmt. Praktisch bei all diesen dramatischen Witterungen. Übers Handy stimmen wir uns ab, und schon bald finde ich mich wieder in einer warmen Stube fernab weltunterganglicher Szenarien am Himmel. Frau Barbara K. eine lebendige, deutschsprachige Dame (56 j.) scheint wieder eine äußerst interessante Begegnung zu sein.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (19.11.2015)

Polen074

14 Stunden später: 12 Stunden Schlaf und viele Liter Regengeprassel auf der Zeltplane baue ich im Morgengrauen das Lager ab, frühstücke die Reste vom Vortag hinweg und bereite den Wanderwagen auf die anstehende Regenwanderung vor; lege die Unterleg-Plane fürs Zelt quer rüber und fixiere die Seiten, Gummicape zusätlich drüber und fertig ist das All-Wettermobil. (Bild: Wanderwagen in Arbeit. Es wird regnerisch heut.)

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (18.11.2015)

Polen073

Und wieder im Busch zu Bett, etwas anders als noch eine Nacht zuvor, aber doch eher, und mehr mein Ding. Es nieselt und der Wind rauscht durch die Kiefern. Bin wieder in meinem Element. Der Weg war zimlich hart heut, scharfer Wind stürmte heut die Plane vom Wagen, mir den Poncho über die Birne…. immer und immer wieder. Im Wald ist’s besser, da wirbeln nur die Kronen wild umher, unten aber bleibt alles zu schön friedlich. Zu Essen habe ich noch reichlich, natürlich deftig Sandwiches aus der Palast-Küche. Ja, welch ein Kontrast. Ich denke an den Abend gestern wärend ich auf Kiefern und Wacholder blicke ….

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (18.11.2015)

Polen072

Wieder auf der Piste. Zugegeben habe ich obendrauf noch einen 20 km Lift bekommen, wurde etwas weiter abgesetzt um noch einigermaßen im Zeitplan zu sein. Noch ganz benommen von all den heftigen Maximalgastlichkeiten, holper ich den Wanderwagen über die Wurzeln tiefer Wälder. Regen prasselt, Wind weht mir die Jacke über den Kopf. Mindestens 30 km muss ich heute schaffen…

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (18.11.2015) - Palast Tlokinia -

Polen071

Reingestürzt ins Buffet; bis ich platze gibt’s früh morgens nochmal dick aufgetragen was in den Bauch. Palast Tlokinia Heritage Hotel: Mal garnicht so abgehoben bei eigentlich Normalpreisen die bei der Qualität sogar in Polen überraschen. Halb Acht früh, höchste Zeit weiter zu ziehen.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (17.11.2015) - Palast Tlokinia -

Polen070

Und ab auf’s Zimmer. Auch wenn der Hauswein nach mehr verlangt, bahne ich meinen Weg vorbei an ganz andere Gewächse polnischer Wälder: Geweihe prangen wie mahnende Geister meiner Nacht entgegen. Nur das sie hier nicht so lebendig scheinen wie an anderen Schlafgemächern tief im Walde. Zugegeben bin ich einem echten Hirsch auch noch nie begegnet. Besser eben hier als bald draußen im Forst….

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (17.11.2015) - Palast Tlokinia -

Polen069

Mit leeren Bauch schläft’s sich aber selbst im Empire Room nicht gut. Also nochmal rann an die exklusiven Leckereien. Der Speisesaal ist fast voll, um so gemütlicher werde ich im Vorraum im stylischen Flurbereich geparkt, lasse den Hauswein kommen, bestelle als Vorgang eine Art lockere Blutwurst (Black Pudding) mit Whiskeysoße, auf einem mildem Sauerkraut-Kartoffelpüree-Bratzwiebel Einerlei. Dann gibt’s das Rindersteak, medium (mit recht viel Biss) auf Vodkasoße, mit edelsüßen Paprikagemüse sowie hausgemachten Kartoffelküchlein, - Wegweiser zum Himmel aller Geschmäcker auf polnisch.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (17.11.2015)

Polen068

- Palast Tlokinia -

Auch das kann Wanderleben sein; Himmelbett im “Empire Room” alles im alt-polnischen Deko. Die Wendeltreppe führt in einen schmalen Dachstuhlbereich mit zwei weiteren Betten. Dort nächtige ich nun und kanns weiterhin nicht fassen….

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (17.11.2015)

Polen067

- Palast Tlokinia -

Frau Silvia freut sich mal einen ganz anderen Gast zu begrüßen; nicht als Tourist oder Geschäftsmann, sondern als echter Reisender erlebe ich in diesem Land Unglaubliches.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (17.11.2015)

Polen066

- Palast Tlokinia -

Ja sogar die Tasse Tee ist hier so exklusiv: Mit einem Zauberstäbchen an Kristallzucker, versüße ich mir diesen Traum hier ….. Sagt mal, träume ich eigentlich ???

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (17.11.2015)

Polen065

- Palast Tlokinia -

Der Hauptgang: Feine Kohlrouladen mit Hackfüllung an Waldpilzrahm, wirklich ganz fein mit milden Zwiebeln. Nur Mamas Rouladen können da mithalten ….

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (17.11.2015)

Polen064

- Palast Tlokinia -

Zweiter Gang: Vollmundiges Schwein in Gemüsebrühe, traditionell polnisch mit recht viel Fett und Schwarte.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (17.11.2015)

Polen063

- Palast Tlokinia -

Und jetzt geht’s los: Polnisch gehobene Küche mit einem Bällchen von Schmalz in feiner Kruste an Pesto Genovese…. zum hausgemachten Brot. - Als Vorspeise.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (17.11.2015)

Polen062

- Palast Tlokinia -

……………… Ich lasse sie erzählen, die über 200 jährigen Eichen am Palast Tlokinia, die sind hier wohl das älteste und haben somit schon einiges gesehen; 1919 erbaut, einst als Landgut etwas abseits der florierenden Stadt Kalisch, die direkt nach der nahezu Komplettzerstörung sich im Neuaufbau befand, war es damals der Hauptwohnsitz der einflussreichen Familie Chrystowski. Jahrzehntelang hatte das Haus namenhafte Gäste bewirtet, war Stätte von Kulturtreffen und Familienfeiern, aber auch dramatische Zeiten unter den Russen nach dem zweiten Weltkrieg erlebt. Erst kürzlich im Jahr 2010, nach Eigentümerwechsel, wurde der Palast grundlegend saniert, und seit 2012 ist es offiziell das Palast-Tlokinia-Restaurant-Hotel. Tlokinia bezieht sich auf die Dorfschaft nebenan. ….. Also ein echtes Schmuckstückchen in jeder Hinsicht….

(Wer kann mich sehen? Düster das Licht, heiter die Stimmung bei den alten Eichen von Tlokinia)

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (17.11.2015)

Polen061

In die Ferne? Weiterkommen….? Erst über die dröhnende Haupt-Ausfallstraße durch ewige Baustellen im Dauerkampf hunderter 40 Tonner raus aus der Stadt, eingehüllt im Gummi meines Regenponchos. Dann endlich links raus ins Ländliche Grau, einfach nur die Weite spühren, die (jetzt ruhige) Straße unter den Sohlen wieder Gewohnheit werden lassen…. ein freudiger Gruß holt mich aus der Lethargie, “Hey, i seen you today in Internet, soooo great what you do” - ich lache, grüße zurück, also bin ich offenbar jetzt dank Calisia-TV recht bekannt, und wenig später kommt er wieder der dicke BMW, der junge Fahrer lädt mich ein zum Tee…. muss aber unbedingt weiter, sage ich höflich, so allmählich muss es schon was werden mit der Strecke. Als dann aber noch eine komplette Essenseinladung folgt, + Hotelzimmer, alles für lau, lenke ich ein. Ja, auch noch dieser Palast von eben den ich beim vorbeigehen sah, eben dieses feudale Haus umgeben von parkartigem Gartenbau. Luxus inmitten ländlicher Einöde der mir in jeglicher Hinsicht fern sei. …….. wie betrunken lasse ich alles passieren, lasse den Wanderwagen ins geräumige Innern eines hoteleigenen Betriebsfahrzeugs hieven, lasse alles passieren….. glaube zu träumen, finde mich wieder in diesen Gewölben exklusiver Gastlichkeit, eingeladen, wilkommen und ….. ja, wie ein Staatsgast von Frau Silvia K. erstmal ins feine Restaurant geführt…. die 26 jährige, professionelle Angestellte in leitender Position, nimmt sich Zeit für mich, und ich stelle fest in der skurilen Situation zu sein, nicht zu wissen wer von uns momentan mehr begeistert ist über den jeweils anderen….. (Bild: Wo bin ich hier? Was passiert heute noch?)

Weiter gehts, ja es ruft wieder die Ferne.... →

Ca. 10:30, also mal wieder viel zu spät schaffe ich dann den Sprung und verabschiede mich. Elzbieta konnte sich kaum trennen, macht Bilder und Filme… gibt mir noch Proviant auf dem Weg. Was habt ihr mir alles gegeben.. Danke ihr Lieben, hoffentlich sehen wir uns bald wieder!

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen. (16.11.2015)

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Stadt: Kalisch

Düster und Finster war es mal im Mittelalter; so wie auch das Wetter heute. Aber sehen wollte ich das noch unbedingt, das alte Holzdorf, ca drei Kilometer abseits der Innenstadt, genau an der Stelle wo einst die erste Siedlung sein musste; vor über zwei Jahrtausenden. Die ältesten Spuren aber zeugen vom Frühmittelalter, sowie Fundamentspuren einer ersten Kirche von vor ca 1000 Jahren. Sozusagen die Keimzelle von Kalisch wo heute, eher als Museumsdorf, einige Holzhäuser originalgetreu nachgebaut sind. Schon recht aufwändig sind die Blockhüttenartigen Holzgebäude, teils mit Reetdach, Ställen und Werkstätten. Jedenfalls sahen so die besseren Häuser damals im Hochmittelalter so aus, während die eEnfachen und Armen schon in wesentlich primitiveren Verschlägen lebten. Somit ist das Dorf eher ein Schaustück hochmittelalterlicher “Villen” und weniger authentisch in dörflicher Mischbebauung nachempfunden.

Alles mal auf polnisch: →

Mein erster Auftritt im fremden Land, scheint ja ganz gut zu klappen…

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (16.11.2015)

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Stadt: Kalisch ….. (100.000 Einwohner)

“Pressconference” im Jaceks Cafe Calisia nach dem Bürgermeister-Meeting, und ich glaubs nicht, zwei Radiosender (einer aus der Großstadt Poznan/Posen) eine Zeitung, sowie das Lokalfernsehen geben sich die Klinke; wieder alles vom Englischen in Polnisch übersetzt vom Moderator, stelle ich mich den Fragen. Besonders wichtig: Was ist die “Message”? Für Polen wäre das ganz klar die Freiheit hier so lang und so weit gehen zu können wie ich will. Nach all der schwierigen Geschichte zwischen unseren Ländern, nach all den unglaublichen Untaten vor erst 60 Jahren, so frei, ja in Freundschaft verbunden in diesem Land wilkommen zu sein ist ein Geschenk, eine Meisterleistung der Politik, der Versöhnung und Aufarbeitung der letzten Jahrzehnte. Sowas dürfen wir nie vergessen. ……Wanderleben und große Politik, das funktioniert offenbar gut und kommt sogar an.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (16.11.2015)

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Stadt: Kalisch …. (100.000 Einwohner)

Großes Treffen mit dem Bürgermeister der Stadt Kalisch, Grzegorz Sapinski, der sich den Wandersmann mal genauer ansehen wollte; besonders stimmig finden wir den Zusammenhang der Städtefreundschaft zwischen Kalisch und Hamm in Westfalen, (Gruß an Clown Püppi) wo ich vor zwei Monaten nichts ahnend durchmarschiert bin, somit auf 820 Kilometer beide Städte verbinde. Außerdem kenne ich die chinesische Partnerstadt Nanyang, - die ansonsten selbst hier keiner kennt, wo ich fast sogar hinkomme auf meinem “Weltweg” später mal durch China. Also zu erzählen gibts genug. Jacek übersetzt ins polnische bei Tee und Mittagspause im Bürgermeisterbüro. Mein erster Auftritt auf größerem Parkett; vielleicht bald auch in Warschau beim Minister, bis zum Kreml in Moskau bei Vladimir Putin…. *träum* - der könnte mir ja ein zwei-Jahres Visum für den 10.000 Kilometer Marsch durch sein Riesenland spendieren…. Träume und Visionen, doch damit fängt ja bekanntlich alles immer an.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (16.11.2015)

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Stadt: Kalisch ….. (100.000 Einwohner)

Und ich bleibe. Einen ganzen Tag Pause im sicheren Haus bei schlimmsten Regen draußen, das war gut. Heute aber ist immernoch zu tun: “Pressconference”…. hui, hört sich richtig cool an, so nennt es Jacek was für den Mittag angesagt ist. Aber zuvor schaffen wir noch den totalen Überblick: Kalisch von oben, bunt und lebendig, selbst im grausten Grau schlimmster November-Laune noch so schön ansehnlich. (Bild: Aus 60 m Höhe vom Turm des zentralen, weißen Rathauses mit Blick auf den Platz in der Stadtmitte)

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (14.11.2015)

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Stadt: Kalisch …. (100.000 Einwohner)

Gefunden: Das Cafe Calisia, der Treffpunkt wo ich erst allein bin, groß, voller alter Möbel wie ein gewaltiges Wohnzimmer, mal garnicht so im Über-Style, ein unglaublich toller Ort zum bleiben. Hier soll ich Jacek anrufen, schalte aber eine Weile ab, bestelle für 1,10€ einen dicken Eisbecher, und komme erstmal an. Doch die junge Bedienerin scheint mich zu erkennen, erzählt im wackeligen Englisch, dass ihr “Boss” kein Unbekannter hier sei; www.Calisia.pl lautet ihre Platform, eine Art lokales Medienunternehmen rund um Kalisch mit Meldungen und Geschichten aus der Stadt. Na, da bin ich aber gerade richtig hier, und schon ist die ganze Familie am Tisch versammelt; Papa Jacek, Mama Elzbieta, Tochter Marta (17) Sohn Jan (15) wollen alle den Wandersmann sehen. So erahne ich dass mal wieder der Wander-Zeitplan völlig durcheinander gerät; eigentlich wollte ich schon morgen wieder weiter, aber mitnichten, durch die Blume bekomme ich mit, dass es eher unhöflich sei gleich wieder zu verschwinden. Außerdem will ich das auch mittlerweile garnicht mehr. Ich fühle mich so wohl und wilkommen hier. Ich bleibe….

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (14.11.2015)

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Stadt: Kalisch …. (100.000 Einwohner)

Wie in jeder polnischen Stadt finde ich das Zentrum als Quadrat vor, alt bepflastert, gottseidank nicht als Parkplatz missbraucht, und im Falle einer größeren Stadt, mit einem Zentralbau in der Mitte. Hier praktischerweise das weiße Rathaus, ein berühmter, historischer Bau. Die Mitte der wohl ältesten Stadt im Lande. Eher zufällig gerate ich hier her, als auf der Landkarte der Weg quer durch Polens Mitte entlang seiner großen Städte in planung war. Kalisch war da eigentlich nur eine Zwischenstation, erkenne jetzt aber wie wichtig der Ort kommt; bereits vor 1865 Jahren vom berühmten, griechischen Geografen Claudius Ptolmäus erwähnt, als “Calisia” war hier schon lang vor der sesshaftigkeit der slawischen Polonen, eine germanische Siedlung. Zu dieser Zeit war das weite Gebiet voller Wälder und als östlichstes Areal germanischer Stämme bekannt, weil ein alter Handelspfad von Süden bis zum Baltischen Meer (Ostsee) führte, der bereits im römischen Reich, allerdings fern abseits seines damaligen Machteinflusses bekannt war. Vandalen waren es damals, die hier siedelten, ein wüstes, germanisches Volk, eher verstreut in Holzbauten lebend, als Jäger in den Wäldern, bis zur Zeit der Völkerwanderung vor und zu Beginn des Frühmittelalters, (vor 1680 bis 1440 Jahren) als allmählich Westslaven von Süden vordrangen, - eben jene Polonen die viel später hier ganz große Kultur entwickelten, Polen vor 1100 Jahren gründeten, zuerst - wie auch in Deutschland, viele kleine Reiche hatten, so wie auch jenes Herzogtum wo im Jahr 1193 Kalisch bereits Hauptstadt wurde, viel später dann in Grenzlage zu den großen Reichen geriet; Russland lag genau in Sichtweite, während die Stadt mal polnisch, mal deutsch (preußisch) war. Die Mittelalterliche Stadt erfuhr allerdings ihre größte und einzigste Komplettzerstörung im ersten Weltkrieg (1914) während sie im zweiten Weltkrieg nahezu unversehrt von Osten eingenommen wurde. Deshalb finde ich hier keine alt-historischen Gebäude mehr, lediglich restaurierte Fundamente von Mauer und Schlossanlagen kann man bei dem Streifzug der inneren Stadt erahnen. Heute ist Kalisch eine moderne, mittlere Stadt die über ihre Textilindustrie seit Anfang 1800 ihre Größe auf heute über 100.000 Einwohner puschen konnte. Ihre Randlage zwischen den Reichen war nicht immer ungünstig; während die Textilien an Bedeutung schon vor Jahrzehnten abnahm, bleibt Kalisch als Klaviermetropole erhalten; früher gab es hier eine gewaltige Klavierfabrik, heute nur eine Ruine, aber immernoch mit der einzigen Schule für Klavierbau in Europa…. das erzählt mir zumindest Jacek, ein weltgewandter Kosmopolit, der mir im perfekten Englisch noch so einiges zu erzählen weiß: Mein Gastgeber hier in Kalisch.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (14.11.2015)

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Stadt: Kalisz….. (100.000 Einwohner)

Neue Stadt, neues Glück; Kalisch (polnisch - Kalisz) als Zwischenziel bis Lodsch, ladet mich zum Couchsurfen ein. Schneller als gedacht erreiche ich die Stadt in meinem Sprint nach sagenhaften 36 km in sieben Stunden Wanderzeit. Bunter Kohl, passend zur umgebenden Landschaft in der gerade voll die Kohlernte läuft, passt da gut ins Bild, auch wenn man den nicht essen kann.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (14.11.2015)

Polen051

Pause: Ich bin gut in der Zeit, aber auch super hungrig. Bei den Preisen hier gönne ich mir gern eine tolle, heiße Suppe. Mitnichten gelingt der Versuch irgendwas von dem Kauderwelsch auf der knappen Speisekarte erfolgreich zu ordern; wieder ist es eine schlimme Pansensuppe die mich schon seit dem Jakobsweg immer wieder mal verfolgt. Bin so frei und bestelle noch einen Hamburger, der aber auch echt grottig kommt… zum Glück kostet der aber nur fünf Zloty, also 1,10 €, die Pansensuppe auch, - brauche ich noch nicht einmal zahlen, weil unangerührt von meiner… WiFi dazu, Couchsurfing machen schnell, Jacek kontaktieren, ihm schreiben das ich es heute packe bis Kalisz, dann die Tageschau überfliegen, einen Schock ertragen über Paris…. ich sacke danieder in meiner Tankstellenkantine mitten fernab im tiefsten Polen, wieder ein Weltbild maximal erschüttert, ein Weltbild der freien, einen Menschheit, wovon ich allmählich Abschied nehmen muss. Aber dazu ein anderes mal mehr. Noch 15 Kilometer bis Kalisz -dann bin ich in zwei Tagen über 70 km gewalkt !(Bild: Wohl bekommts; die liebe Pansensuppe hat mich mal wieder)

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (14.11.2015)

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33 Kilometer wurden gestern geschafft. Nix tut weh, die Beine gehen von selbst und ich freue mich über die erfolgreiche Strategie, gleich im Morgengrauen los zu machen, konsequent das Lager zu räumen und sich in die Kilometer zu stürzen. Unterwegs fällt eine andere Bauart auf; die Häuser werden noch einfacher je tiefer ich ins Polnische Land vordringe. Noch ganz normal verputzt fielen die vielen, vielen Neu-Eigenheime nahe der deutschen Grenze bis hinter Poznan nicht sonderlich auf. Nur das in den letzten 15 Jahren eine Eigenheim-Explosion Polen-weit stattfindet, überrascht schon. Und auch da wo die Leute ärmer scheinen, wir und wurde gebaut ohne Ende; ohne Putz im blanken Stein stehen hier viele Häuser fertig, ja, schön soll es auch sein; rote Ziegel und graue Betonsteine wechseln zumindest farblich das preisgünstige Schema ab. Baugrund werfen einem die Dörfer nahezu hinterher, der ist echt billig hier. Zu groß ist die realistische Sorge vor Schrumpfkuren, da niedrige Kinderzahlen, Überalterung und starke Konkurrenz der Städte die Dörfer bedrohen. Noch passt es, da in Polen die meisten ein Dorfleben bevorzugen, aber natürlich mit allem Schnikschnak, Autos vom Halbstarken bis zur Oma müssen alle haben, große Gärten - nahezu immer mit Hund, gehören dazu und überhaupt erlebt das Land einen Wohlstandsausbruch wie nie in seiner Geschichte. Auch wenn viele unglaublich viel haben, sind hier die ganz einfachen offensichtlich auch in der Lage ihr eigenes Schloss zu bauen. Ungefähr 30.000 Euro (130.000 Zloty) dürfte dieses Haus auf dem Bild mit Grundstück kosten. Das erzählen mir die Leute schon gern in Hinblick auf die viermal höheren Preise im deutschen Billig-Segment. Doch wer sind diese Leute? Eher jene die offen und meist gebildet mit mir ins Gespräch kommen wollen, (im Cafe) aber nahezu nie hier draußen, z.B. wenn ich frage bei ihnen im Garten oder auf den Hof eines Bauern zu zelten. Dann überrascht mich eine große Verschlossenheit im eigentlich so gastfreundlichen Land, nicht weil die Leute hier blöd drauf sind, sondern erstens die Sprachbarierre immernoch heftig ist, (mein Polnisch dürfte ohnehin erst nach 8000 km funktionieren…) und in einer neuen Kultur des Eigenbesitzes mehr Misstrauen und Privatheit dem Fremden entgegengebracht werden.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (13.11.2015)

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Ort: Kwilen

Und zünftig soll es letztlich sein; noch eine Stunde Tageslicht bis 16:30, dann ist’s total finster. Eine Lampe wäre ja die Lösung, nur dann sieht mich jeder das Zelt wie eine Laterne im Dunkeln. Unerkannt will ich besser bleiben mit dem Preis eben schon um fünf in die Haia zu müssen. Wild wird dann die Nacht, Sturm und Regen setzen ein, der Wanderwagen vorm Zelt ist gut eingepackt in einer Gummiplane. In tiefster Nacht muss ich mal hervorkommen, fast nackt aus dem dicken, tiefen Daunenpolstern der Schlafsäcke um draußen nach dem rechten zu sehen, ob der Sturm nicht doch die Plane wegweht. Mit vollem Bauch bin ich aber gut in Wärme, schlafe bei Wind und Wetter fest und lang. Alle zwanzig Kilometer kann in den Kleinstädten genug Essen herangeschafft werden, da Kaufläden massenhaft überall sind. Mit maximal 10€ lebe ich somit perfekt. Eher acht Euro (30 - 40 Zloty) kostet die Alltagsverpflegung inklusive Caffe zwischendurch im Warmen.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (13.11.2015)

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Ort: Kwilen im Nirgendwo

Noch eine Stunde und das Licht geht aus. In Kwilen, einem der vielen gesichtslosen Straßendörfer, schlage ich mich pünktlich zum “Feierabend” direkt hinter einer Fabrikruine am Ortsausgang, ins hohe Gras. Zum offenen Acker sieht man das Zelt, aber leer sind die Weiten und nur in der Ferne rattert ein Trecker mit Pflug bis spät in der Nacht.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (13.11.2015)

Polen047

Will ich voran kommen, muss ich auf die Straße; und mittlerweile gewöhne ich mich sogar an die Monster, angesichtig bis zuletzt wo nur Zentimeter manchmal zwischen mir und 45 Tonnen im Speed-Rausch trennen. Doch es passt, und ich wundere mich immernoch darüber, dass selbst auf den kleinsten Neben-Nebenstrecken so viele fette Straßenmonster reihenweise dahindonnern. Alternativ kann ich manchmal nicht ausweichen, da Wald oder Feldwege oft zu komplex oder kaum gradlienig in die Weite führen. So presse ich mich nun mehr und mehr in die Schablone einer Identität des “Road-Walkers” - hat ja auch was. Gelassenheit ist hier wichtig. Mit der Zeit und einigen tausend Kilometern kommt sowas schon von allein.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (13.11.2015)

Polen046

Stadt: Pyzdry (3.200 Einwohner)

Peisern an der Warte heißt der Ort auf Deutsch, da auch hier vor langer Zeit alles mal zu Preußen gehörte. Jetzt in Pyzdry sehe ich eine saubere, kleinst-Stadt mit denen für Polen so typischen, Quadrat-Zentrum, einem Marktplatz umringt von Häusern jeglicher Bauart. Leider vermasselt die unschöne Entwicklung allgegenwärtiger Parkplätze jegliche Idylle die solche Plätze mal hatte. LKWs, Autos und nochmals Autos verhindern die letzten Versuche von Gemütlichkeit, z.B die kleinen Grünanlagen mit Sitzbänken in der Mitte der Freifläche. Wo ich auch stehe, ein Foto wirkt in jeder Position wie ein Report über die automobile Vielfalt unseres asphaltierten Planeten. Auf der Warta-Brücke Stadtaußwärts, gelingt mal ein kleiner Blickfang ohne buntes Blech. (Bild)

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (13.11.2015)

Polen045

Noch ein Blick auf den Weg kurz vorm Start im Morgengrauen. Acht Stunden Licht bleiben nur dann wenn es wirklich früh los geht! Und die Tage werden noch kürzer. Eiskalt ist es, und esse steinharte Schockolade, trinke kleine Schlücke des Wassers, was so eisig ist, dass es in den Zähnen zieht. Einen Kocher habe ich leider immer noch nicht, da dieser erst noch gekauft werden muss… noch fehlt viel in der Ausstattung, ob Winterklamotten oder Camping-Gaskocher, alles steht noch auf der Liste.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (13.11.2015)

Polen044

Schwer trug ich an eigener Last, der prozentige Abend mit Piotr lag nachhaltig in den Knochen, und so schaffte ich nur 15 km, wenn überhaupt bis in einem Wald. Dort schlief ich wie immer lang und gut, packe diesmal das üblich taunasse Zelt offen in den Wanderwagen in der Hoffnung es über die Zeit an der Luft etwas zu trocknen. Der Muff von dauerfeuchter Plane, mag die Qualität noch so gut sein, ist abendlich nicht wirklich das Wahre. In weißgrauer Morgenfrische starte ich heute bereits um acht in der Früh. Kilometer müssen her, die nächste Familie in der nächsten Stadt musste ich bereits über Mail (gestern im Cafe) vertrösten auf einen Tag später. In 72 Kilometern liegt Kalisz (Kalisch) was ich unrealistischerweise übermorgen erreichen will.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (12.11.2015)

Polen043

Stadt: Sroda

Komme nicht in Fahrt und bleibe nochmals im Cafe Delicja hängen zum Rogale, wie dieses fantastische Croaissant hier heißt. Dazu einen Cappuccino der tatsächlich wie in Italien schmeckt. Hier in Polen! Aber auch toll: Alles für gerade mal 12 Zloty, das macht 2,80€. Bei dem grauen, kalten Wetter, leiste ich mir das gern, auch wenn der “Plan” mal wieder zeitlich alles andere als korrekt ist. 10:45 Uhr bereits, in fünf Stunden dunkelt es wieder…

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (12.11.2015)

Polen042

Stadt: Sroda …… (22.000 Einwohner)

Der gute Geist gleich neben meinem Himmelbett; häusliche - Weingährung bei Familie Rudna. Und auch im Kopf: Hatte gestern Abend ganz schön zugelang; war ein weicher, runder Geschmack in milder Säure. Außerdem der erste polnische Wein den ich je trank (Trauben & Pflaumen aus dem eigenen Garten) …..uff, jetzt eeeetwas Katerstimmung und 30 Kilometer vor der Brust…. schon halb neun, schnell los, denn in sieben Stunden wirds wieder dunkel. …….. Nächste Ziele: Kalisz bis Freitag, dann Lodsch bis Sonntag/Montag.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (11.11.2015)

Polen041

Stadt: Sroda ……. (22.000 Einwohner)

Zu Hause bei Familie Rudna; selbstgemachter Süßwein mit Piotr und Renata, gefährlich gut…. man muss ein Ende finden können, aber rettend viel zu Essen. Typisch polnisch üppig also, und invormativ; Piotr arbeitet schon lang für Solaris, einem erfolgreichen Vorzeige Unternehmen in Polen dass Busse baut. Viele davon werden mittlerweile auch nach Deutschland exportiert, und mein Gastgeber weiß nach seiner intensiven Zeit dort, bald einige Nummern herunter zu fahren; leben ist angesagt, das Ersparte scheint zu reichen und die Kinder machen ihr Ding gut; ein Sohnemann studiert gerade in Wien, der hatte mich eigentlich über Maria hier (fern)eingeladen. Aber den komischen Wandersmann mit dem Kinderwagenähnlichen Gerät, wolle man schon kennenlernen. (Bild: Die Großeltern schauen zu, - ganz links an der Wand jene von den 1880ern Jahren)

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen. (11.11.2015)

Polen040

Stadt: Sroda …(22.000 Einwohner)

Ca. 30 km von Poznan entfernt, erreiche ich Sroda, eine vitale Kleinstadt mit vielen Neubauten drumherum zeigt, wie sehr das Land sich ins Zeug legt und sich verändert. Dennoch ist hier der Hund begraben, zumindest momentan da -wie schon die vielen Flaggen vermuten lassen, großer National Feiertag heute ist. Ich bin froh noch ein Cafe aufzugabeln um nicht nur eines der feinen “Rogale” zu futtern, jene leckeren Croissants der Region, sondern auch mittels WiFi mit Freund Georg zu schnacken. Ein Anruf übrigens bei Piotr genügt ebenfalls um für heute das Sozialleben zu sichern; die liebe, fantastische Maria aus Poznan wusste mich ihm zu vermitteln. Ein Bett in Sroda wartet auf mich.

Viva Polonia 800 km zu Fuß durch Polen (11.11.2015)

Polen039

Aus soliden Feldwegen werden Graspfade, immer in Richtung Osten. Die “Here App” läuft wieder und hoffe die stürzt nicht plötzlich wieder ab…. ansonsten bin ich hier wirklich aufgeschmissen, -spätestens an der nächsten Wegzweigung…

Viva Polonia 800 km zu Fuß durch Polen (11.11.2015)

Polen038

14 Stunden Zelt sind vorrüber. Gute Aussichten also um so fitter in den Tag zu starten… naja, man kann sich ja auch müde schlafen, so richtig aus den Latschen komme ich selbst nach 10 Kilometern nicht… grau aber windig ist es heute in Polen, Unabhängigkeitstag noch dazu, also die Straßen sind ruhig, und bin mal gespannt was die neuen Nationalisten in Warschau heute in (un)diplomatischer Feierlaune so quaken, mal gen Westen, und mal gegen Moskau…. hier auf den Feldwegen aber ist alles sehr ruhig, 22 Kilometer sind angesagt bis Sroda wo ich sozusagen vermittelt bin als Gast. Bin mal gespannt.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (10.11.2015)

Polen037

Stadt: Poznan ….(550.000 Einwohner)

Mooooooorgen…. aufsteh-Zeit! Bereits um sieben, da es hell wird in Arthurs Wohnung, nahe dem Zentrum der Stadt. Gestern wechselte ich die Gastgeber, da unglaublicherweise gleich fünf (!) Einladungen für Poznan bei Couchsurfing eingingen, Art, wie er sich gern nennt, ist ebenfalls sehr kosmopolitisch, und macht nur kurz in seiner fast leeren Wohnung in Poznan Station. Der umtriebige Pole lebte bereits in Taiwan, Singapur und Kanada, war schon in nahezu 100 Ländern weiß er mir zu erzählen. Sein Leben ist von Reisen geprägt, sein Job speziell; er lehrt eine Art “english religious conversation" in allen Herren Länder. Natürlich will er mir auch erzählen, dass der jüngste Tag bevorstehe, also das biblische Ende der Welt. Doch mehr Thema war gestern Abend wieder mein Wanderleben. Da kann der Weltuntergang noch so nah sein, interessant findet das eben jeder zu wissen wie man sich mit Zelt und Wanderwagen durch die Wälder schlägt. Uff, schon poste ich hier ganze drei Stunden…. sitze an der Steckdose mit dem frisch geladenen Tablet-PC in der Raumecke und der Rücken tut mittlerweile streicken. Jetzt noch Facebook, dann Couchsurfing verwalten, dann noch scypen mit Mama, dann….. wollte ich nicht schon früh wieder loslegen? Die geplanten 35 Kilometer schaffe ich somit mal wieder nicht, bis Donnerstag in Kalisz anzukommen, einer Stadt wo ich bereits einen Gastgeber habe auch nicht…. hach, ich muss lernen eben mehr Zeit zu haben. Noch mehr Zeit als überhaupt, doch das ist dieser Job, ja der wohl schönste Job überhaupt hier…. dafür spenden mir sogar einige Leute Geld. Danke dafür nochmals !!!

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (09.11.2015)

Polen036

Stadt: Poznan

Ganz wichtig: Die Spezialität der Stadt und Region, das St.Martins Croissant, üppig, schwer gefüllt mit einer Art Krokantmasse, Nüssen und Rosinen ein tolles Frühstück. Eines reicht völlig aus und Du bist satt!

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (09.11.2015)

Polen035

Stadt: Poznan …. (550.000 Einwohner)

Poznan hieß auch mal lange Zeit Posen. Der deutsche Name für eine ehemals preußische Stadt, in der Bollwerke ihrer wechselvollen Besatzer zahlreich sind, aber diese hier, die Kaiser Willhelm Festung, vor 105 Jahren als Schloss erbaut, klotzt am markantesten hervor. Einst (Ur)polnisch, dann preußisch, dann unter Napoleon mal was ganz anderes und wiederum später deutsch, erlebte die Stadt, die eigentlich immer im Kern polnisch blieb, viel Unterdrückung, aber auch entsprechend glänzende Zeiten. Vieles ist heute noch erhalten und vor allem wieder aufgemöbelt seinem großstädtischen Status entsprechend. Ja ein bisschen Hauptstädtisches hat es hier sogar….

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (09.11.2015)

Polen034

Stadt: Poznan …. (550.000 Einwohner)

An ihm kommt man in diesem Land nirgends vorbei: Papst Johannes Paul, ein Nationalheiliger ersten Ranges. Ergreifend, als ich beobachte wie die alte Frau zu seinen Füßen greift und sich danach kreuzend segnet. Mächtig ist sie wieder geworden, die Kirche in Polen, einem Land was noch immer so sehr nach starker Identität sucht, scheint im Katholizismus mehr und mehr fündig.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (09.11.2015)

Polen033

Stadt: Poznan ….. (550.000 Einwohner)

In der Kathedrale von Poznan liegen die Urzellen der Stadt, ja der polnischen Kultur tief unten in den Kellergewölben verborgen: Die 1000 Jahre alten Königsgräber der ersten Herrscher. Heute steht hier ein Bau neuerer Art, neugotisch und natürlich Barock obendrauf. Selbstverständlich hatte Papst Johannes Paul die Kirche in den Status einer Basillika erhoben, einem Titel höchster Auszeichnung für historische Verdienste im Christentum. Im Jahr 968 war hier ein Vorgängerbau einer romanischen Kirche, der als erster polnischer Bischofssitz damals von riesiger Bedeutung war.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (09.11.2015)

Polen032

Stadt: Poznan ….. (550.000 Einwohner)

Wieder unterwegs, aber nur innerhalb der Stadt. Auf dem alten Hauptmarkt mit seinen Gildenhäusern holpert der Wanderwagen über weites Pflaster. Das Rathaus im Hintergrund ist mitten auf dem Platz gelegen, ein großes Nebeneinander: Dahinter schlimme Blöcke aus kommunistischen Tagen, neben Barock und klassischer Bauart. Eine echt tolle Stadt deren Geschichte für Polen die weitreichenste sein soll; schon vor 1200 Jahren gab es hier eine Siedlung, etwas später gründete sich mit den ersten Königen das polnische Reich, genau hier in Poznan. Schon sehr viel früher fand hier grundlegendes statt: Poznan ist die Wiege der Nation, da vor 1500 Jahren hier in den Wäldern der Region die “Polonen”, ein slawisches Wandervolk zum ersten mal Ackerbau betrieben, also sesshaft wurden. Die Polonen leiten sich von “Pole"ab, was sowas wie “Feld” bedeutet. Somit entstand auch der Name Polen, was im übertragenen Sinne sowas wie “Feldland” oder “Feldien” heißen müsste (?) Deshalb heißt die Region in der Poznan liegt auch Großpolen, sozusagen das Ur-Polen, eine heute 30.000 Quadratkilometer große Region (so ausgedehnt wie Brandenburg) -Auch wenn Krakau und Warschau in kultureller Konkurrenz stehen, und deren Könige später noch viel mächtiger waren, hat hier mal alles angefangen.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (08.11.2015)

Polen031

Stadt: Poznan (550.000 Einwohner)

Deftig, einfache Küche. Das ist polnisch und gut. Kartoffeln gehören fast immer dazu. Der Rotwein war mein Wunsch, endlich mal einen wunderbaren Bordeaux… das hab ich vermisst!

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (08.11.2015)

Polen030

Stadt: Poznan …. (550.000 Einwohner)

Im Gespräch: Maria, 27 Jahre und bei Mc Kinsey angestellt, Kosmopolitin mit perfekten Englisch. Klar, sie war schon länger in viele Länder, entspricht dem modernen Weltbild der gut ausgebildeten Singels ihres Landes, will vielleicht mal woanders leben, ganz klar in anderen Ländern arbeiten. Maria lebt zusammen mit Mama und Schwester in einem Haus, drei Kilometer außwärts der Posener Innenstadt. Hier habe ich ein ganzes Zimmer für mich, draußen schlägt das Wetter um und drinnen ist es somit um so gemütlicher. Maria und ich sind im Geiste recht ähnlich: Ich freue mich über ihre Ansichten vom Humanismus, die sogar bis in die exotische Richtung zum Transhumanismus führen; ein visionärer Glauben an die optimale technologisierung der Menscheit, die z.B. auf Bio-technischer Ebene langfristig zur Unsterblichkeit führen könnte. Maria und ich fänden die Idee spannend, sich dafür extra einfrieren zu lassen. Sowas gibt es sogar, natürlich in Amerika, wo eine kleine Versicherung dafür sorgt, dass ich im hohen Alter auf 191 Grad minus im Edelstahltank für eine lange Wartezeit frisch bleibe, auf dass irgendwann in der Zukunft eine neue (Bio)technologie, mich wieder erweckt, meine alten Zellen verjüngt und somit unbegrenzt leben. -Ein Glauben, wie jeder andere eigentlich auch. Während Christen an die Wiederauferstehung glauben, oder zumindest darauf hoffen, glaube ich an sowas, an einen Fortschritt ganz anderer Art. …. Jaja, ein Thema was jeder bestreitet, ich kenne das … aber Maria, sie würde sowas auch machen…. …. ….. ….. …. Also dann, sehen wir uns spätestens in Arizona wieder, wo die Kühltanks stehen? Why not, antwortet sie und ich glaube ihr. Vielleicht wirds eine Freundschaft für die nächsten 5000 Jahre ….

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (08.11.2015)

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Lange Wege durch sub-urbanes Land gehören dazu wenn man sich der Großstadt nährt. Auch Polen verändert sich seit einigen Jahren, der Lebensstandard passt sich immer weiter dem mitteleuropäischen Durchschnitt an, Neubauten und vor allem Unmengen an Autos überall. Wilde Parkplätze, oder offiziell vor den nagelneuen Frischbauten hier mitten auf dem Land, weit vor der Stadt, sieht es aus wie auf Autolagerung auf Halde; mindestens jeder hat seine Karosse, und jeder will jetzt auch immer mehr: Neubauten kilometerweise überraschen mich in einem Land dessen Bevölkerung eher schrumpft. Wie in Deutschland liegen die Kinderzahlen je Frau auf dramatisch, niedrigen Werten. Bekommen sie statistisch mit 1,3 Kindern sogar noch weniger als die deutsche Mutter (1,4 Kinder ) Doch sind auch die Zeichen in Polen wie überall erstmal auf Wachstum gesetzt; die Städte boomen wieder total, das platte Land aber findet stellenweise kaum den Anschluss. Poznan, in dessen Windschatten ich schon seit Stunden einkehre, kündigt sich großspurig an, weil hier draußen die Neubauten groß, modern und vor allem günstiger sind als in der Stadt selbst. Ein Auto hat ja mittlerweile jeder, und das sogar als Neuwagen zumeist, damit die Wege zur Arbeit nicht länger als 30 Minuten betragen. Es verändert sich in Polen. Doch wie sicher ist der Aufschwung? Mit knapp unter 38 Millionen Bewohner hat das Land etwas weniger als die Hälfte von Deutschland, Tendenz: sinkend, da auch kaum Zuwanderer in die eher feindlich gesinnte Gesellschaft, ja erst recht (und neuerdings) fremdenfeindliche Politik eine Perspektive sehen. Während bei uns z.B. die Altenpflege gut und gern die bewährte, polnische Pflegerin übernimmt, fragt sich, wer pflegt bald die alten Polen? Drei Millionen Auswanderer Netto für die letzten 20 Jahre muss das Land zusätzlich noch verschmerzen, auf Versicherungen, gute Renten, oder einen starken Staat der für die Armen alle Kosten übernimmt, dürfen die vielen Millionen Alten die sehr bald hier in Rente gehen nicht setzen. In Ansätzen funktioniert ja die Sache hier; das Land ist angepasst günstig, die Preise stehen im Verhältniss zur Lebenswirklichkeit der einfachen Masse, ganz im Gegensatz noch zu Griechenland, wo das (mittlerweile) gleiche Einkommensniveau wie in Polen, einem Preisniveau teils teurer wie dem deutschen entgegensteht. Wahrscheinlich aber liegt es auch an seiner Größe; Polen gehört noch zu den großen Ländern Europas, mit einer funktionierenden Industrie, vor allem im Lebensmittelbereich, wo eine große Landwirtschaft dahinter steht; von den 316.000 Quadratkilometern (ca 75% der Größe Deutschlands, oder wenig größer als Italien) sind ca 50% Landwirtschaftlich genutzt. 50% der Getreideproduktion wird für den Eigenbedarf genutzt, alles weitere geht in den Export. Also eine Kornkammer für Europa dieses Land…. und somit eine der zukünftigen Chancen; Polen, wie auch Osteuropa überhaupt sind und werden Agrarnationen sein, ob es ihnen gefällt oder nicht. Abgesehen vom mächtigen Russland, schwinden sie dahin die Staaten im Osten unseres Kontinents, deren Bevölkerungen überaltern so katastrophal, wie das Verhalten ihrer starken Jugend; entweder auswandern in den Westen, oder besoffen in den Tag leben…. dazwischen bleibt eine neue Mittelschicht, deren Existenz langfristig gefährdert ist, ihr fortdauern eigentlich nur in der europäischen Idee eine Zukunft hat. Das aber wollen hier immer weniger; “Hinterhof” eines zentralen Europas sein, - in jeglicher Hinsicht? Nein, lieber neue, “nationale Identität” erkennen. Sowas gefällt hier, doch wohin? Der Westen nimmt uns die Kinder, bevormundet uns ….. der Osten (Russland) ist aber auch blöd…. (Polens neue zwei-Fronten Regirung, der PIS: Gegen Brüssel, gegen Moskau…. auf in den Kampf….) - Jaja, in den Kampf, … auf das wir alle, von Ungarn über Kroatien bis Warschau zum wirklich größten Hinterhof dieser Welt werden.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen. (08.11.2015)

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Jaaaaaa, wieder Sonne. Die Nacht war grausam lang, auch weil nach den vielen Salzheringen der Durst echt schlimm war. Literweise musste ich spülen, unendlich viel Pipi machen in die “Flasche” - ein alter Campingtrick, um nicht ständig aus dem warmen Zelt zu steigen. Aber jetzt steigt die Laune spürbar; gleißende Sonne über der Piste weißt mir den Weg weiter nach Osten…. 30 Kilometer bis Poznan sind noch zu schaffen, dort treffe ich dann Maria, die mir vermittelt wurde als ich noch bei David und Mareike in Nauen (bei Berlin) übernachtet hatte. Sonntag, Magen leer, aaaaaaber Läden auf: Keine Sperrzeit wie noch im Gottesstaat Italien, ja oder auch Deutschland wo ich ansonsten dem verhungern nahe gerate. Hier sind alle Läden offen und ich stürze mich in den Kalorien-Konsum….. der hier einfach unglaublich wenig kostet.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (07.11.2015)

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Na, kommt wieder Regen? Meinen Samstagabend feiere ich mit Bier und - Salzheringen. Ein Fehlhriff im “Sklep” aber eben das einzige was es heute zu Essen gibt. Noch eine Stunde, dann wirds dunkel um halb fünf…. Morgen bin ich ja wieder eingeladen, in der Großstadt Poznan.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (06.11.2015)

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Stadt: Szamotuly …. (19.000 Einwohner)

Das platte Land brachte viele Dörfer hervor, ich durchquere ethliche davon und errege manchmal etwas Aufsehen in der Einöde. Die Mentalität hier im Osten ist ruppiger, so kommt es vor dass auch alte Säufer mich komisch anquatschen, ja sogar zornig lallen, wenn ich sie korrekterweise ignoriere. Auch drei angesoffene Jungs in lodderigen Trainingsanzügen und schmutzigen Turnschuhen sehen mich, pöbeln irgendwas Dummes vor sich hin und werden lauter je weiter ich ziehe. Mir macht das nichts aus, stelle aber später fest, dass der Wanderwagen den ich vor einem Cafe im Ort Szamotuly in Sichtweite vors Fenster parkte, einen deftigen Tritt kassiert, von eben einer dieser Jungs die auch in den Ort kommen, wohl des Wochenmarktes wegen wo sie sicherlich weiter irgend ein Unheil anrichten…. sowas gibts also auch. Zum Glück hält das Fahrgestell noch einiges mehr aus, und es bleibt spannend wie bei all den Wildschweinen in den Wäldern auch die wohl schlimmeren Raubtiere - besoffene Menschen, zu übertehen sind.(Bild: Szamotuly, eine Kleinstadt schafft Abwechlung im grauen Einerlei langer Landstraßen)

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (06.11.2015)

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Endlos scheinen die Straßen ins Graue zu führen…. da kommt man sich schon verloren vor, erst recht bei nasskalten vier Grad dabei.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (06.11.2015)

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Stadt: Sierakow … (6.100 Einwohner)

Bleibt also nur der “Sklep” was sowas wie Laden heißt, und kaufe mir für 5€ eine ganze Tagesration. (Bild: Polnischer gehts nicht mehr, oder?)

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (06.11.2015)

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Stadt: Sierakow ……(6.100 Einwohner)

Doch bis Poznan ist es noch ein langer Weg. Ich durchquere Sierakow, finde dort aber kein Cafe mit WiFi, wundere mich über das fehlen von Bars und Kneipen…. ganz entgegen meiner Vorstellung gibt es in Polens Kleinstädte und erst recht seinen Dörfern, kaum Orte, öffentlicher, geselliger Begegnungen.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (06.11.2015)

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Stadt: Sierakow …….(6.100 Einwohner)

Couchsurfen funktioniert in Polen also wieder, ganz im Gegensatz noch zu Griechenland, - Kontraste in jeglicher Hinsicht in diesem Jahr…. ob Grau in Grau hier an der Warta, dem Fluss (Bild) oder das ewige Blau zwischen den Inseln, 3000 km weiter südlich von hier. Besser noch die Gastfreundschaft, welche die Sonne Griechenlands sogar noch übertrifft; für die nächste Stadt (Poznan) habe ich schon gleich zwei Einladungen in meinem Couchsurfing-Postkasten.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (05.11.2015)

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Stadt: Sierakow …………(6.100 Einwohner)

Schock: Anna schreibt mir nun auf einmal, sie sei 15 km in Sierakow, und ob ich nun zur verabredeten Zeit (18:00 Uhr) komme…. Es dunkelt mal wieder bereits und mir fliegt vor Aufregung das Handy aus den Fingern…. ich texte ihr dass ich Wanderer bin und nicht mit dem Wohnmobil unterwegs. 15 Kilometer sind eine halb-Tagestour…. Also rettet mich Polens über-motorisierung heute mal und die beiden holen mich mit dem Auto ab; Wanderwagen im Kofferaum gewurschtelt und los gehts durch stockfinstere Weiten nach Sierakow…. wo Anna (23) mit Freund Bartosz (26) mich in ihr Zimmer auf die Couch packen. Endlich wieder eine Couch, und: Endlich wieder eine (heiße) Dusche…. inklusive beherztem Einsatz zum reinigen meiner Klamotten. Ich werds wohl nicht rausfinden ob olfaktorische Gründe oder sonstwas meine Gastgeber so engagiert werden ließen… Anna arbeitet als Erzieherin im örtlichen Kinderarten, was ihren eigenen Kinderwunsch eher nachteilig zur eigenen Familie beeinflusst; Freund Bartosz, der im Verkauf von Digitalgeräten ausreichend verdient, schließt sich dem allgeminen Mainstream der kinderlosen Partnerschaft in Polen an. Sie wollen reisen, was von der Welt sehen, nicht nur heute sondern auch für immer. Anna ist deutlich energetischer und mag auch Zelten in der Wildnis. Viel Gesprächstoff für einen eher kurzen Abend. Gewöhnt an 13 Stunden Zelt-Bettruhe, bin ich schon stolz es bis halb elf Abends zu schaffen.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (05.11.2015)

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Stadt: Miedzychod (11.000 Einwohner)

Warten auf Anna: Bei Katoffeln und eine Art Hühnchenrolle aus der Fritöse, freue ich mich besonders auf den Salat; Vitamine sind schwer dieser Tage zu kriegen, da ich erstmal kein Obst-Fan bin und bei der Kälte jeder Apfel, jede Orange echt anstrengent zu vernaschen ist. Überall Kälte …. nur nicht hier im Speisesaal wo es für 3,50€ satt zu futtern gibt im Warmen.

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (05.11.2015)

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Stadt: Miedzychod (11.000 Einwohner)

Wieder einer dieser größeren Orte die keiner kennt: Miedzychod, eine richtige Stadt inmitten der Weiten des polnischen Nirgendwos gelegen, zeigt mal wieder, wie groß diese Welt ist, ja wie groß überhaupt Polen ist; tausende kleiner Städte in diesem Land gibt es, überall Leute, Geschichten, Dramen und Freuden. Und bei all der grauen Eintönigkeit die scheinbar übers Land schwelgt, jede Stadt ist dennoch individuell, so wie ein Mensch. Man muss nur genau hinschauen; Miezychod ist um einen See gelegen sogar noch schön. Wenn da nicht dieses permanente Dauergrau in der Landschaft klebt …

Viva Polonia - 800 km zu Fuß durch Polen (05.11.2015)

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Oh ja, sie funktioniert diese Landkarten -“App” auf meinem ständig Akku-leeren Tablet-PC; Freund Uwe in Berlin hatte sie mir noch aufs Gerät gebastelt. Selbst bin ich echt zu blöd für solche Sachen und überhaupt mag ich viel lieber die gute alte Karte aus Papier…. nur bräuchte ich davon nahezu tonnenweise. Nachteil der Digitalkarte: Akku mal wieder schlapp, - nix kartenlesen …. die Mischung machts; noch die letzten Prozent der Batterie aufzehren und eben solche Schleichwege über Acker, Feld und Flur finden. Der Kartendienst heißt “Here” oder “Here-Maps” wofür letztlich kein Zugang zum Internet erforderlich ist nachdem ein komplettes Land kartographisch hochgeladen ist. (Bild: Der Weg nach Miedzychod kann vielfältig sein)

 “Viva Polonia” 800 km zu Fuß durch Polen (05.11.2015)

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Dorf: Nove Gorzycko

Ungefähr 15 Kilometer vor dem Tagesziel Miedzychod lasse ich mich absetzen, um noch etwas durch die herbschöne Landschaft zu ziehen, und auch um meine Wohltäter nicht zu sehr zu überfordern. Qualm liegt in der Luft; den vernebelten Dörfern sieht man an, dass die polnischen Winter härter sind als bei uns, dass aber auch das Heizsystem ganz anders funktioniert, wo noch nahezu jedes Haus mit dem Holzofen heizt. Wie schon in Sulecin, liegen hier die Rauchschwaden weit sichtbar in der kalten Luft. Holz scheint ja genug da zu sein, überall höre ich jetzt die Kettensägen aus der Ferne durch die Landschaft dröhnen. Ja, kalt wird es mehr und mehr…. ich esse noch einen alten Käse mit Resten von Brot, wo mir bereits die Finger abzubrechen drohen ..mann ist das kalt. Weiterlaufen, weiterlaufen…. nur so bleibt’s warm …

 “Viva Polonia” 800 km zu Fuß durch Polen (05.11.2015)

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Noch 13 Kilometer bis Miedzyrzecz, was ich noch immer nicht aussprechen kann. Beim Abbau des Zeltlagers übe ich es, auch um hörbarer für die unweiten Wildschwein Rotten zu sein. Die 17.000 Einwohner Stadt erriche ich dann doch früh, erkenne aber das heutige Tagesziel, die 33 km entfernte Stadt Miedzychod niemals bei Tageslicht zu schaffen. Dort bin ich heute zum Couchsurfen verabredet mit Anna, sollte also unbedingt dort sein heute. Also dann alles mal ganz viel entspannter: Statt das Unmögliche anzugreifen und los zu rennen, gönne ich mir einen Cappuccino, den ich nach langer suche in dieser grauen Stadt mit einigen Schockoriegeln an der Orlen-Tankstelle genieße. Das Internet hier nutze ich diesmal um mit Freund Georg zu scypen, das Reisetagebuch muss warten. Trüb und grau ist es heute, die goldenen Herbsttage scheinen vorüber und der Umstand jetzt auch noch mit dem Bus oder Zug in die nächste Stadt zu müssen, turnt mich echt ab…. doch es kommt anders: Damien und Kasha treffe ich bei meinen Erkundungswegen zum Busbahnhof, und ich glaub es nicht, die packen den Wanderwagen ins Auto und fahren mich ganze 20 km weiter….. Die wussten wohl, dass die uralten Linienbusse aus den 80er Jahren viel zu eng sind für meinen Bollerwagen, und Züge fahren erst garnicht… So sind es eben solche charmanten Ausnahmen wie diese die einfach mal erlaubt sind wenns die Lage fordert; Anna kann ich somit treffen heute und ein warmes Bett im warmen Haus ist somit sicher! ….. (Bild: Haben mich gerettet heute; Demian und Freundin Kasha fahren mich weit raus, damit ich noch Miedzychod erreiche)

 “Viva Polonia” 800 km zu Fuß durch Polen. (04.11.2015)

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Irgendwie soll das eine “Napoleon Straße” sein, erzählen mir Bauern unterwegs, die mich lautstark vom Acker grüßen, mich schwallweise mit polnisch überschütten, wobei ich erkennbar mache nur Englisch oder Deutsch zu verstehen. Naja, verstehen kann ich wohl, dass ich sowas wie eine exotische Abwechslung bin hier draußen, fernab zwischen kilometerweiten Äckern. Sputen muss ich mich aber, da es schwer wird bei dem langsamen Holperschritt das anvisierte Tagesziel zu erreichen; Miedzyrzecz, ja, unaussprechbar aber eine echte Stadt liegt immernoch unerreichbar fern…. der resignierte Blick auf der Landkarte zeigt Stunde um Stunde nur millimeterweise Fortschritte. Schon bald dimmt das satte Himmelblau in wärmere Töne über, so schön wie auch etwas bedrohlich, weil schon um halb vier der Tag tatsächlich seinen Feierabend fordert. Ich schlage mich spontan, ja übermannt vom schleichendem Dunkelschleier in den Wald und sehe zu flink genug alles aufzubauen, damit wenigstens noch etwas Zeit bleibt fürs Bier und Abendessen am Zelt. Um 17:00 ist es zappenduster, und lasse es über mich ergehen schon jetzt einzuschlafen….

 “Viva Polonia” 800 km zu Fuß durch Polen (04.11.2015)

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Sehr schön aber Gift für den Wanderwagen; der alte Natursteinpfad von Sulecin nach Osten führend, einst vor über 200 Jahren gepflastert, schüttelt meinen 28 Kilo-Bomber kräftig durch. Kilometer für Kilometer knattere ich weit abseits der lärmenden Haupstraße eigentlich des besseren Weges wegen hier entlang. Doch dafür bin ich langsam, ruppel die Meter auf historischen Boden mühselig ab…. Ein klassisches für und wieder im Wanderleben.,

 “Viva Polonia” 800 km zu Fuß durch Polen (04.11.2015)

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Wie schön kann dieses Land sein….? Bei dem Sonneschein im herbstlichen Dunst der über den ganzen Tag in den tiefen Wäldern überdauert, momentan intensiv duftend, ob die Eichen oder der gelbe Ahorn es sind. Wie im Märchen ziehe ich im Blätterfall entlang der alten Wege, seit abseits der wenig schönen Straßen in Richtung Osten. Kalt ist es aber dennoch: acht Grad verlangen einen strammen Schritt um schön warm zu bleiben.

 “Viva Polonia” 800 km zu Fuß durch Polen (04.11.2015)

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Stadt: Sulecin

Der Blick aus meinem Fenster über den Hinterhof auf Sulecin, das allerdings nicht überall so triest aussieht; viel mehr ist es der frische, ja frostige Novembermorgen mit seiner herrlichen Sonne die mich auf den Weg ruft…. frisch geduscht mit randvollem Bauch mache ich mich auf. Auch Hausaufgaben sind gemacht; Couchsurfing-Anfragen für die nächsten Orte bis zur Großstadt Poznan (Posen) sind versendet. Hab gestern fast bis Mitternacht am PC-Gerät gewurschtelt…. alle Akkus voll… auf gehts in die Ferne….

“Viva Polonia” 800 km zu Fuß durch Polen (04.11.2015)

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Stadt: Sulecin (10.000 Einwohner)

Haaaach, welch ein Luxus, und das auch noch mit echt polnischen Power-Frühstück - immernoch alles für 20 Euro, unglaublich. Im echten Bett schläft es sich nunmal anders als im Zelt, zwar nicht unbedingt besser, aber viel unkomplizierter: Bett sehen - reinlegen - fertig. “Pensjonat Kacper” heißt die Adresse, gleich neben der zentralen Kirche im Ort, ein Fotoladen hat die recht wohlhabende Familie nebenan, und eine Tochter in Texas, Amreika, wie es nunmal für die durchschnitts Familie im Auswanderland Polen üblich ist; eine Tochter von 20 Millionen Auslandspolen die weltweit auf der Suche nach Glück ihr schlichtes Land verlassen hatten. Schlicht wirkt oft die weite Landschaft, wohl alles andere als das aber die Gastlichkeit (siehe Frühstückstisch) … Also dann: Es wird eine verdammt gute Zeit hier im Land, das hab ich im Gefühl.

“Viva Polonia” 800 km zu Fuß durch Polen (03.11.2015)

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Stadt: Sulecin (10.000 Einwohner)

Über ruhige, ja einsame Straßen schaffe ich den Weg noch bis ins gut 30 km entfernte Sulecin, einer Kleinstadt inmitten der platten, bis sanft gewellten Landschaft des Lebus, Polens tiefen Westen. Hier will ich heute am liebsten mal absteigen, in einem echten Zimmer. Die sollen hier auch ganz billig sein und ja, nach langer Suche (ich wollte aufgeben und ab in den Wald…) finde ich irgendwas Privates mit Zimmervermietung. Für sagenhafte 80 Zloty, (der Zimmer-Durchschnittspreis) also 20 €, steige ich heute mal richtig ab. DANKE, nochmals an Frau Else in Pillgram, die mir noch die 20 Euro gab, genau die, die ich jetzt dafür anlege hier zu nächtigen. Nötig wäre das mal, nicht wegen eines warmen Bettes, da ich ansonsten echt gut in meinen Daunen-Säcken eingehüllt auf Daunen-Luftmatratzen, usw… traumhaft bei Minusgraden schlafe, sondern einfach und banal meine Geräte aufladen muss; der Tablet-PC mit bedrohlichen 12% Akku versetzt mich chronisch in einem digitalen Dauerstress Zustand, der trotz aller praktischer Autonomie des funktionierenden Wanderlebens ein skurriler Wiederspruch in sich selbst ist; bei aller Freiheit, wo ist die nächste STECKDOSE…. ? Es ist zum Wahnsinnig werden; fotografieren, scypen mit den Lieben daheim, hier posten auch bei Facebook, Couchsurfing verwalten, Mails lesen und schreiben, noch die Nachichten lesen, Recherchen über die Orte meines Weges halten, ja noch dann über Google Maps (oder “Here”) ständig auf Landkarte sein….. das ist zu viel.Fehlt nur noch dass ich mit dem Ding bald koche (!?)…. Jaja, jetzt aber habe ich das Geld und nutze den Nebeneffekt eines warmen Bettes was dann doch schon was anderes ist…. Coichsurfing schaffe ich jetzt aber wieder nicht, bin einfach viel zu müde und muss schluss machen; 3 Std schrieb ich jetzt allein hier, das Bilder runterladen dauert auch, aber ich mach es gern…. Draußen sehe ich durchs Fenster die Häuser von Sulecin im Nebeldunst; nahezu jeder hier heizt noch mit Brennholz; wie in einem Film, ja oder dem Ruhrgebiet der 50er Jahre raucht jeder Giebel in den Straßenzügen und versetzt alles im Geruch verbrannten Holzes.

 “Viva Polonia” 800 km zu Fuß durch Polen (03.11.2015)

Polen009

Was für ein Nobemeber: Klare, kalt-blaue Luft bei gleißender Wintersonne, die aber schon ganz viel Stauwärme in meiner Jacke schafft, wenn ich zünftig in die Kilometer trete. Vor allem längs dieser entsetzlichen Landstraße ohne jeglichen Seitenstreifen, ja gar Radwege. Letztere sind in Polen ohnehin unbekannt, und überhaupt ist hier nahezu alles komplett nur fürs Auto ausgebaut. Doch wäre ich nicht stolzer “Road-Walker” wenn ich nicht ohne weiteres bei all den stoßweise entgegen-schmetternden LKWs, immer links auf den schmalen Graßstreifen ausweiche, alle paar Minuten, immer wieder…. (ich laufe links, entgegen der Fahrtrichtung) was auf Dauer schon sehr anstrengt. Aber anders geht es nicht, da nur wenig Wege dahin führen wo ich dann allein wäre. Ausnahmen gibt es schon; mit Mühe erkunde ich Landkarten in den Orten, ob bei Verwaltungszentren, Busfahrpläne oder im Internet bei “Here Maps”(die ich auch ohne online-Status anschließend abrufen kann, was aber schlimm viel Akku frißt) und könnte heulen vor Glück dann auf solchen Traumstrecken fast für mich allein , ganz viele Kilometer zu schlendern. (Bild: Innehalten vor den Waldkiefern (Pinus Sylvestris) einer der typischsten Bäume im unendlichen Osten Europas, bei einem Geschenk der Sonderklasse für den ansonst schäbig grauen November; endlos, blauer Himmel….. endlos ….)

 “Viva Polonia” 800 km zu Fuß durch Polen (03.11.2015)

Polen008

Na, weit bin ich gestern ja nicht mehr gekommen: In Kovalov noch versackt in den Tiefen des Internets, bei feinster Soljanka für fast 3 Stunden. Da schaffte ich nur noch wenige Kilometer über diese mörderische Schmalspurstraße mit ihren fürchterlichen LKWahnsinn, den ich hier zwischen den Dörfern nie erwartet hätte…Polen ist in den letzten Jahren zur totalen Auto-Nation mutiert, mindestens genauso wie bei uns. Jeder der 37 Millionen im Land dürfte seinen Lebensinhalt Nr.1 rund ums Auto verinnerlicht wissen, dermaßen dicht schmettert der Verkehr selbst auf diesen Nebenstrecken nur Zentimeter und pausenlos (!) an meinem Wanderwagen vorbei. Da flüchte ich gern schon um halb vier an den Ackerrand, wohl 200 Meter fernab der Straße und schaue in den fantastisch blauen Himmel der immer mehr an warmen Farben annimmt, im Gegensatz zur Temperatur die merklich schnell fällt. Die Nacht wird kalt. Eis und Raureif on masse schrappe ich am nächsten (eiskalten) Morgen von der Zeltplane, die Eis-steif fast schon zu brechen droht. Selbst auf dem Schlafsack im Innern liegt ein feiner Eisfilm. Kondenzwasser tröppelt mir ins Gesicht. Die erste, echte Eisnacht liegt hinter mir.

“Viva Polonia” 800 km zu Fuß durch Polen (02.11.2015)

Polen007

Ort: Kovalov (1.600 Einwohner)

Ja, hier hatte ich den letzten Bericht geschrieben dank den ersten WiFi seit Brandenburg. In Kovalov, einem größeren Ort erkunde ich erstmals die polnische Bescheidenheit bei den Preisen; mal eine komplett andere Welt, vor allem im Vergleich zu Griechenland (mit ähnlichem Lohnniveau) wo alles das dreifache kostet. Weder Geiz noch Gier ist aber hier am Werk; umgerechnet 2,20€ zahle ich für die beste, deftigste Soljanka (russische Fleischsuppe) die ich je hatte, und das 0,4 Liter ! - Andere Sachen auf der Speisekarte der Kantinen-Gaststätte von der Orlen-Tankstelle (Polens größte Tankstellenkonzern) konnte ich nicht erkennen; Zungenbrecher vom feinsten…. muss da noch viel üben. Aber gleich einen Kaffee hinterher, natürlich meinen Cappuccino (der auch noch schmeckt) für 1,20€. Dann eine Cola für 1€… macht bei fast drei Stunden: 4,40€. Und ich bin satt bei allen erledigten Internet-Pflichten.(Bild: Preis-Überraschungen mal andersrum; billig und echt gut lebt es sich heute in Polen allemal, so wie hier am Tankstellen-Hotspot als soziales, wirtschaftliches Zentrum von Kovalov inclusive WiFi)

 “Viva Polonia” 800 km zu Fuß durch Polen. (02.11.2015)

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Böhmische Dörfer..? Oder polnische Dörfer…? Oder ehemals deutsche, ja preusische Dörfer? …. Ach ich weiß auch nicht mehr, zumindest wenns geschichtlich hier in der Region Lebus mal wieder kompliziert wird. Also polnisch stimmt erstmal jetzt und hier in Stare Biscupice, einem Flecken auf der Landkarte inmitten düsterer Wälder landeinwärts…. und doch, weiter im Ortskern haben sie was gemacht; gut ausgebaut sind die Kleindörfer hier mit Gehsteigen, glatten Straßen, ja sogar großen Freizeitflächen wie Rast oder Sportplätze. Wenn da nicht die Grenzgänger wären; dank der ausufernden Motorisierung der polnischen Arbeiterklasse, findet mittlerweile viel Kapital hier sein Endziel in einem günstigen Familienhaus auf eben günstigen Grund und Boden. Polens Dörfer in (deutscher) Grenznähe sind alles andere als arm. Bin mal gespannt auf die Dörfer weiter drinnen….

 “Viva Polonia” 800 km zu Fuß durch Polen (01.11.2015)

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*Sehnsüchtig guck* …. da ganz hinten ist Recklinghausen, meine liebe Heimat…. der Blick vom Zelt (um gerade mal 17:00 Uhr…) im Feuerrot eines dennoch eiskalten Novemeberhimmels. Die erste Frostnacht bahnt sich an, mit letztem Blick auf Deutschland: Ganz hinten erkenne ich noch die Lichter des hohen Oder-Turms in Frankfurt/Oder, hier abseits von Slubice.

 “Viva Polonia” 800 km zu Fuß durch Polen (01.11.2015)

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Wahnsinnig viele Biersorten sind zu erkunden; zuerst das Tyskie, eine der größten Nummern am polnischen Bierhimmel versüßt mir gleich den ersten Abend im Land. Zelt aufgebaut, in Jacke und Decke eingehüllt und nun die letzten, kurzen Tageslichtmomente genießen bis die lange Nacht kommt…(Bild: 0,65 Liter: Genau das rechte Maß für den Fernwanderer!)

“Viva Polonia” 800 km zu Fuß durch Polen (01.11.2015)

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Stadt: Slubice

Wieder mal im Busch gelandet. Nach der Aktion im Hotel-Lager - oder Lager-Hotel, wohl die beste Entscheidung. Platz ist allerdings genug hier, viele wilde, freie Wiesen mit niederen Bäumen und Sträuchern, zwischen Gewerbe und einfachen Wohnhebieten, gleich neben der dröhnenden Hauptstraße lassen mich nicht lang suchen …

“Viva Polonia” - 800 km zu Fuß durch Polen (01.11.2015)

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Stadt: Slubice (17.000 Einwohner)

Also: 4,20 Zloty sind 1 Euro. Ungefähr. Und schon flüchte ich entsetzt beim “Kantor” der Geldwechselstube vor unfassbarer Unfreundlichkeit einer zwar sehr gutausehenden, aber Gift-garstigen Dame hinter dem Sicherheitsglas, der es nicht schnell genug geht, bis ich all die kleinen Scheine sortiere zum wechseln. Genervt als wolle ich ihr ein Zeitungsabo andrehen faucht sie irgendwas unverständliches durch die trübe Scheibe; wilkommen in Polen, dem Land der garstigen Geschäftigkeit. Zumindest als Kunde wird man hier offensichtlich als notwendiges Übel gesehen. Als Reisender aber nicht, und frage mich durch, bekomme auf gebrochenen Deutsch Auskunft. Slubice ist wahrscheinlich alles andere als Paradebeispiel zur polnischen Mentalität, liegt der Ort ja im Grenzverkehr ganz im Zeichen zum Billig-Einkauf-Touristen auf Zigaretten oder Benzin Beutezug aus Deutschland kommend. Und somit ist man hier ja den teutonischen Besucher gewöhnt, wenn eben auch nicht im freundlichsten Sinne. Slubice ansich ist zwar sehr sauber und schön ausgebaut im innern, wirkt aber sehr wie ein Billigbasar mit all den bunten Läden die z.B. “Zigaretten, fast umsonst” anpreisen, außerdem mit meterlangen Alkoholregalen inklusive. Jaja, eine andere “Kantor-Dame” war so frei ohne Gift verspritzend mir 120 Euro in Zloty zu wechseln. Essensvorräte sind noch genug aus Deutschland im Speicher, polnisches Bier ergänze ich aber noch gern dazu. Also weiter, und raus aus dem Ort…. finde noch zentral ein drei Sterne Hotel, nix für mich…. ein Hinweis auf eine Billigabsteige führt mich zum Ortsausgang: Das “Oasis” sieht dem komplettabriss nahe aus. Ist zudem - wie alles an diesem Sonntag, geschlossen. Die lockere Türklinke hängt aus der Fassung, lässt mich aber nicht hinein… naja, auch gut so, also weiter. Fast zum ende der Siedlung, die immer schrulliger wird, kehre ich nun ins “Holiday Hotel” ein, oder eher einem Lager sollte man meinen; schon vor dem maroden Gebäude lungern schlecht gelaunte Gestalten die den Wanderwagen und mich so angucken als sei ich frisch einem UFO entstiegen. Drinnen glaube ich kaum, hier mitten im zuvor so gelobten Europa, ein so schlimmes Ding zu entdecken; am Schalter und daneben lungern noch mehr Jungs in Flipflops und ihren Handys wie auf einer Gastarbeiterbaustelle ab. WiFi scheint es wohl zu geben, doch die heisere, alte Schachtel an der Rezeption hat überhaupt keine Lust sich um Gäste zu kümmern. Zwei LKW Fahrer schimpfen auf russisch und ein Pole, offenbar aus Fankreich, hilft mir zu übersetzen, dass in einer Stunde jemand kommen würde um zu checken was Zimmermäßig so geht…. uuuuuuuuff, schnell raus hier, schnell, schnell. Es richt nach Furz und Schweiß, der gewagte Blick auf die dunklen, langen Fluren lassen schon im Vorfeld Sehnsucht aufs Zelt, tief im Walde aufkommen…. und dort will ich jetzt nur noch hin … (Bild: Auch das ist Viva Polonia: Lager-Romantik wo nur das Wort “Hotel” daran erinnert worum es geht. - Selbst in Indien hatte ich noch nie sowas gesehen)

Viva Polonia: 800 km durch Polen (01.11.2015)

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Hallo Georg, mein lieber Liebhaber großer Flüsse: Die Oder überschreite ich und denk an Dich. Aber auch an alle die es noch wissen, erlebten wie hier mal eine eisenharte Visa-Grenze jeden stoppte der hier durch wollte. Die Polen hatten zwar rechts gewählt vor kurzem, doch so hoffe ich, dass es immer so bleibt wie es heute ist. Ja, Freiheit atme ich jetzt hier über dem Wasser, Freiheit wie sie nicht selbstverständlich war und ist. Wir müssen alle aufpassen und dafür einstehen das es so bleibt, und nie vergessen was dieses vereinte Europa für uns bedeutet.

 

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